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Wie die Alten grillten

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Wenn Automarken ihre Designrichtung der nächsten Jahre abstecken, also wenn sie künftig alles anders machen wollen als bisher, dann wählen sie zur Präsentation gemeinhin nicht das, was die Käuferinnen und Käufer wählen werden. Also kein SUV, sondern sie zeigen die neue Designlinie an einem ziemlich üppigen Coupé. Das verwundert nicht, denn elegante, schnittige Proportionen passen am ehesten zu einem Gran Turismo oder Sportler, und besser geerdet stehen die tendenziell flachen Autos auch da.

So sah man große Coupés mit langen Motorhauben in jüngster Zeit bei Jaguar (Type 00) oder auch bei Audi (Concept C). Und jetzt auch bei Mercedes, mit dem Showcar Vision Iconic. Schon der Name verweist darauf, dass man die Erwartungen hoch schrauben möge, der Finanzbedarf wäre es sicher auch, sofern das Auto käuflich wäre.

Was bei allen dreien auffällt: Der Kühlergrill ist ziemlich aufrecht und ziemlich hoch. Und bei Audi und Mercedes zitiert der Grill auch die Vergangenheit der Marke.

Beim Mercedes fühlt man sich ...

… an die 60er Jahre erinnert, als die Grills der Mercedes-Palette nicht mehr deutlich höher als breiter waren. Sondern ungefähr gleich breit wie hoch, quadratisches Verhältnis, würde man bei Bohrung und Hub eines Motors jetzt sagen, und alle wissen, was gemeint ist. Der Grill des Showcar Vision Iconic trägt aber kein Metallgitter, sondern Rauchglas mit strukturierenden LEDs, auch Kontur und Stern sind beleuchtet. Damit ist der Luftdurchsatz quasi nicht vorhanden, womit genau genommen auch nicht mehr von einem Kühlergrill gesprochen werden kann, aber der Bedarf an Kühlluft ist in einer elektrifizierten Zukunft ohnedies so niedrig wie ein Showcar. Präsentiert wurde der neue Mercedes-Grill schon am elektrischen GLC, und es stand die berechtigte Frage im Raum, wie teuer ein derart komplexes Teil an exponierter Lage wohl bei kleinen Rempeleien im Stadtverkehr sein würde.

Bei Mercedes steht jetzt auch die Frage im Raum, ob so viele Zitate aus der eigenen Vergangenheit der Zukunft überhaupt noch Raum geben: Das Heck des Showcar Vision Iconic erinnert an den 300 SL, das Interieur in seiner Art-Deco-Opulenz erinnert überhaupt an die 30er Jahre: Ein gläserner Zeppelin (das Wort kommt in der Presseaussendung vor) birgt analoge und digitale Bedienelemente, die vordere Sitzbank (blaues Velours!) erinnert eher an ein Sofa denn an Schalensitze, das Vierspeichenlenkrad trägt in seiner Mitte ein beleuchtetes Logo.

Wir hoffen, dass sich ein Airbag …

… in dieser Lenkradnabe unterbringen lässt, weil das wäre eine gute Botschaft aus der Zukunft: Airbag-Naben würden wieder schlank und zierlich, wir sind ja schon viel zu lange Buchteln in Lenkradmitte gegenübergesessen. Was beim Mercedes Showcar Vision Iconic auf jeden Fall in die Zukunft weist, ist die Solarbeschichtung der Karosserie – die soll, großflächig aufgebracht, Strom für mehrere Tausend Kilometer pro Jahr liefern. Auch für autonom gefahrene Kilometer, wobei Neuromorphing Computing künftig Stromverbrauch und Reaktionszeiten beim autonomen Fahren reduzieren wird. Level 4 ist übrigens angestrebt, damit soll’s auf der Autobahn nicht mehr viel zu tun geben, genau genommen: gar nichts mehr, was mit dem Autofahren zusammenhängt, und mit dem Einparken am Ziel auch nicht mehr. Das macht das Showcar selbst.

Bleibt nur noch abzuwarten, was davon in die Realität einer Serienproduktion findet. Das gilt für die Coupés von Audi und Jaguar natürlich genauso.

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Vision Iconic

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