
Als ich 1994 zur autorevue kam, war Herbert Völker am Zenit seiner Macht. Diese Macht äußerte sich so, dass er Respekt einflößte, wie es heute ein 51-Jähriger in unserer Branche nicht mehr zusammenbrächte. Er flößte Respekt ein nicht nur wegen all dem, was in den vergangenen Tagen anderswo schon mehrfach genannt wurde, Legende, Literat des Motorjournalismus, Verkörperung eines Magazins am Schnittpunkt von Linien, die sich eigentlich nicht schneiden konnten. Das war schon alles so, aber der Respekt wurde noch mehr von der Person selbst vermittelt.
Und er wirkt bis heute: Als Völker schon länger nicht mehr bei der autorevue war, begann es sich einzubürgern, dass er jeden duzte und von jedem geduzt wurde. Das erschien mir immer unpassend, und bis zum Schluss kam mir ein "Herbert" nicht über die Lippen ("Herr Völker" ging natürlich auch nicht mehr, also murmelte man halt irgendwas vor sich hin). Während seiner aktiven Zeit gab es nur ganz wenige in der Redaktion oder in deren engstem Umfeld, die ihn duzen durften. David Staretz war so einer, und natürlich Axel Höfer, der schon vor Völker dagewesen war und damals, 1967, für den frisch hinzugekommenen jungen Völker sicher seinerseits eine Respektsperson war. Axel wurde von jungen Redakteuren ebenfalls gesiezt, bot aber nach einem halben Jahr förmlich das Du-Wort an. Sowas war bei Völker undenkbar.
Der dritte, der Völker duzte, was unser Fotograf Bernd Schilling. Sonst fällt mir eigentlich niemand ein.


Herbert Völker gemeinsam mit Jochen Mass bei der Ennstal Classic
© Jürgen SkarwanVölker machte aus Redakteursanwärtern Schreiber. Seine Schule war so, dass er erkannte, ob wer was draufhatte, und den ließ er dann machen. Er stellte sowieso nur solche ein. Im Inserat, mit dem 1993 ein neuer Redakteur gesucht wurde, hieß es: "Spezialwissen wäre nützlich, wird aber nicht vorausgesetzt." Aha. Und weiter: "... unbedingt eine Textprobe beilegen ... es ist völlig egal, wovon der Text handelt; er kann, muß aber nichts mit Autos zu tun haben." Man sah gleich, wenn man es nicht eh schon längst wusste, was Völker da für ein Magazin hatte.
Alle Redakteure bis auf David hatten ihre Texte auf einem Word-Ausdruck ins Völkerbüro zu bringen. Es galt die Regel "nicht anklopfen". Ich hatte das für eine Attitüde von Volksnähe gehalten. Umgekehrt, wenn er am Graben 17, erster Bezirk, in die Wohnung, die einen Stock unter dem Sekretariat als Redaktion diente, kam, drückte er den Türöffner immer und als einziger doppelt, es summte also zweimal. Er warnte uns vor, und das war wirklich vornehm.
Zwei, drei Tage später kam man wieder in das Chefbüro und besprach mit Völker den Text. Also, er sagte, was nicht passte. Im Allgemeinen war das fast nichts ("nur ein, zwei Kleinigkeiten"), denn er führte die Leute sehr behutsam zur Schreibkunst. Und doch, stets ging man hinauf wie zu einer unangenehmen Prüfung. So waren die Verhältnisse, und natürlich suchte Völker nicht nur Schreibtalente mit sicherer Hand aus, sondern überhaupt nur Leute, die sich zu benehmen wussten, sodass eine andere Legende der Branche, Georg Auer, einmal sagte: "Die Buben von der autorevue, alle wirklich gut erzogen und nett."
Völker gilt als Motorsport-Journalist, der den feuilletonhaften Stil in die Berichterstattung gebracht hat. Das konnten stets auch Menschen lesen, die sich für den Sport nicht interessierten, und es gab immer viel zu lachen. Nicht vergessen wird man aber, dass er auch das in den Motorjournalismus gebracht hat, was hier immer Feature genannt wurde (und wird). Geschichten, Reportagen, die mehr oder weniger entfernt was mit Autos zu tun hatten und manchmal auch garnicht. "Gut geschrieben" war, was zählte. Nur wer Features schrieb, wurde ernst genommen. Autotests, eigentlich das Rückgrat eines Automagazins, mussten freilich sein, aber man hatte nie das Gefühl, dass Völker selbst ein Automensch war, im Sinne von Autonarr. Angeblich konnte er nicht übermäßig gut Auto fahren (sagen Weggefährten der frühen Jahre).
Auch auf den Supertests, die früher noch häufig veranstaltet wurden, kam Dingen abseits der Straße Bedeutung zu. Man fuhr dafür etwa ins Waldviertel, auch (oder vor allem) schweinsbratenhalber, der dort vom Schopf ist und mit den richtigen Beilagen serviert wird. Als beim Bestellen zuletzt die Reihe an Völker und einen Redakteur kam (nämlich mich), und sich herausstellte, dass nur mehr ein Schweinsbraten zu haben wäre, wurde das beinhart mit Münzwurf ausgespielt (er hat gewonnen).
Dass die autorevue nie als normales Automagazin gegolten hat, ist ganz und rein Völkers Verdienst. Hochmotorisierte Literaturzeitschrift, wie jüngst zu lesen war, traf vermutlich nicht auf jede Ausgabe zu, um es vorsichtig auszudrücken. Aber die Berührungspunkte zur Literatur waren immer da, eines der schönsten Beispiele ist Wolfgang Bauer, der 1988 einen Fiat 500 testete, wobei die Testfahrt schon nach einer Minute auf dem Domplatz von Orvieto von einem "Flascherl Orvieto Classico gegen den Durst und einem Grappa gegen die 40 Grad im Schatten" unterbrochen wurde. Keiner außer Völker hätte je so eine Geschichte in seinem Automagazin gehabt (oder einen Test toleriert, in dem Wein und Grappa eine Rolle spielten).
Herbert Völker war Chefredakteur der autorevue von 1967 bis 2002, ganze 35 Jahre lang. Rechnerisch sind die 35 Jahre nur etwas mehr als die Hälfte der ganzen Lebenszeit des Magazins. Das zeigt die Schwäche der reinen Zahlen. Denn die autorevue war immer Völkers Magazin und wird es bleiben, und wenn wir heute versuchen, die Werte der autorevue weiterzutragen, dann sind das die Werte, die Völker nicht eingeführt, sondern erfunden hat. Und sowieso als regelmäßiger Autor bis zuletzt umsetzen konnte. Noch im April-Heft findet sich sein Nachruf auf Helmut Zwickl, und für die kommende Ausgabe war eine Geschichte über den ebenfalls kürzlich verstorbenen Jochen Mass vorgesehen. Die hat er selber angeboten: Über einen wirklich guten Freund was zum Abschied zu schreiben, war ihm ein Bedürfnis gewesen. Leider ist die Geschichte nicht mehr fertig worden.
In der kommenden Printausgabe der autorevue wird es einen ausführlichen Nachruf von David Staretz geben, der wie kein anderer dazu berufen ist.