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Neuvorstellung Lamborghini Temerario

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Gerade solche Supersportwagen nähren unsere Zuversicht, dass es sich doch auszahlen könnte, die Welt zu retten.

Lamborghini Temerario
€ 404.550,–
Preis
V8 Biturbo mit drei E-Motoren
Motor
920 PS
Leistung
730 Nm
Drehmoment
8-Gang-Doppelk.
Getriebe
Allrad
Antrieb
1690 kg
Gewicht
2,7 sec
0-100 km/h
343 km/h
Top-Speed

• Lamborghini Temerario: radikale Neuentwicklung mit 920 PS Hybridleistung und V8-Turbomotor
• Chefdesigner Mitja Borkert erschafft atemberaubendes Karosseriedesign mit maximaler Aerodynamik
• Kritikpunkte: keine Lambo-Türen, Bedienmängel im Cockpit, Klangdefizite im Elektromodus

Ein neuer Stier betritt die Bühne

Wieder ein Helden-Stier, auch wenn man ins 18. Jahrhundert zurückgreifen muss. Mutig, kühn, ein echter Kämpfer. Temerario. Mehr Bedeutung als Klang, aber immer noch besser als Cyberster. Erst noch unser Dank, gerichtet an den Vorgänger Huracán, erfolgreichster Lamborghini aller Zeiten, 70.000 verkaufte Exemplare. Er hat den heute folgenden Komparativ, eigentlich eine hausgemachte Revolution, ermöglicht – und, gleich wörtlich genommen, liefert der from scratch, also von der ersten Skizze an in Sant’Agata entworfene V8 Turbo 800 PS bei unfassbaren 10.000 Revolutions, Umdrehungen pro Minute, da möchte man die mittlere Kolbengeschwindigkeit gar nicht ausgerechnet haben mitsamt der zwanghaften Vorstellung, dass es bei jedem Arbeitstakt einen oberen und einen unteren Totpunkt gibt, also jeweils Stillstand. Der gesamte Drivetrain wurde bei Lamborghini entwickelt, weil Audi, anders als damals mit dem R8, kein Eigeninteresse mehr hat. Abgesehen davon, dass es einen Supersportwagenhersteller weniger gibt, ist das kein Nachteil. Lamborghini allein zu Haus.

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Die Kunst des Designs

Das Design, also das alles durchdringende Gesamtereignis Temerario, ist unschlagbar. Verblüffend, wie Mitja Borkert nicht müde wird, dem bislang Ausgereiften noch mehr Brisanz abzugewinnen, dem bislang bereits Unerhörten einen abermals brillanteren Schliff zu verpassen und dabei so fein und elegant zu agieren wie ein japanischer Katana-Schmied. Es ist ein Lehrstück für die Konkurrenz, wie Mitja die hochgespannten Oberflächen entertaint mit aufregenden Interpunktionen und Signaturen, das wirkt weder langweilig noch überladen. Man blickt auf das Werk eines Genies, auf eine Art angewandten Kubismus der stürzenden Linien und Kompositionen – dennoch ist alles stimmig, rein und nachvollziehbar, bis es im nächsten Moment vor deinen Augen zerfällt in das große Rätsel eines wahrhaftigen Kunstwerkes. Und ist es dennoch nur ein Auto.

„Bitte treten Sie näher, nehmen Sie Platz“, lächelt der immer gut gelaunte, 1974 als DDR-Bürger geborene Chefdesigner. Klar, er muss keine Wohlfühl-Touring-Kunden bespaßen wie Flavio Manzoni bei Ferrari. Aber diese wie zur dichten Formation der Frecce Tricolore zusammenkomponierten Aerodynamikteile, diese Durchlässigkeit im Frontbereich, die wirklich delikat strukturierte und feinsinnige Flanke und das unauflösbar kompliziert und böse strukturierte Heck unterm alles zusammenklammernden Heckflügel, das ist der Pritzker-Preis für Autodesign, den es ja leider gar nicht gibt. Sogar die Rückspiegel haben Windleitfunktion, hier zählt wirklich jede Fase, jeder Knick. Die Downforce stieg gegenüber dem Vorgänger um 103 Prozent, und der war auch kein Heißluftballon.

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Unerreicht, wie sich hier alles zusammenfügt, ausgehend vom Hexagon. Gewissermaßen besteht dieses Design auch rückwirkend, so dass der Vorgänger Huracán überhaupt nicht alt wirkt. Mittelkonsole konnte er sogar zügiger.

Technische Raffinesse im Detail

Das Hexagon gibt auch hier im Temerario das Thema vor, sehr schön abzulesen an den Outline-Rücklichtern mit integriertem Blinkergelb (das nur in Betätigung aufscheint), sowie den beiden Auspuffrohren, die hier in strenger Geometrie zusammengefasst wurden. Grandios und der EU irgendwie entgangen: Die hinteren Radabdeckungen sind geradezu unanständig hoch gelupft, vor allem aus direkter Hintersicht. Zusammen mit der kecken Diffusor-Lingerie ruft das geradezu nach schwarzen Balken in Social-Media-Darstellungen. Zwei neue Wagenfarben sind übrigens anzumelden unter den weiteren 600 erhältlichen: Blu Marinus und Verde Mercurius, beide von betörender Begehrlichkeit.

Dass in dieser tiefgeschnittenen Klingenform samt 20-/21-Zoll-Rädern auch noch zwei Antriebssysteme Platz fanden, ist einer ganz engen Verschränkung der Fakultäten zu verdanken. Schließlich musste man hinter den V8 im Heck noch einen Elektromotor (der fugenlos das Turboloch stopft) vor das 8-Gang-Getriebe samt Kupplung schieben – und die Vorderräder werden von zwei weiteren unabhängigen Elektromotoren angetrieben, was aktives Torque Vectoring in Echtzeit ermöglicht – und ganz nebenbei den ersten Lamborghini mit Vorderradantrieb, solange der nämlich im CITTA-Modus, also rein elektrisch läuft, was zirka elf Kilometer weit funktionieren könnte. Will aber garantiert niemand nachprüfen.

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Fahrgefühl zwischen Triumph und Tragik

Und ja, es gibt ein Ladekabel, ganz weit unten originalverpackt im vorderen Gepäckabteil, und weil Lamborghini eine wirklich noble Marke ist trotz aggressiver Klingenführung, würden sie das nie Frunk nennen, nunmehr der scheußlichste Begriff moderner Automobilsprache. (Bis dahin war das Auspufftopf. In einem redaktionsinternen Wettbewerb gewann übrigens der Begriff „Strumpfgrube“, aber in Testwägen findet man solche selten vor.) Gepäck-Platz gibt es auch hinter den Sitzen, jeweils für zwei Bordcases.

Und weil Mitja Borkert ein großer Motorradliebhaber ist mit firmenverflochtenem Naheverhältnis zu Ducati, ist er wie schon beim Revuelto darauf verfallen, den Motor vollständig ungeschützt im Freien zu belassen, hier lediglich mit einer zarten Netzträgerstruktur abgeschirmt vor unverschämten Blicken. Als Entschädigung dürfen Passanten die dezent eingegossene Zündfolge 15374826 ablesen wie die Telefonnummer einer unerreichbaren Schönheit. Zusammen mit den drei E-Kraftwerken werden statt 800 bis zu 920 PS frei, die sich beim Herausbeschleunigen in vordranggenerierten Schlangenlinien entfalten, so viel können die beiden da vorn gar nicht ziehen, so schnell kann das ESP gar nicht regeln.

Die allererste Ausfahrt auf Landstraßen, exklusives Erlebnis zwischen Sant’Agata und Misano, erlaubte allerdings nur wenige derartige Manöver, wenn man vom Durchräubern ungezählter Kreisverkehre absieht. Dennoch, in einem Supersportwagen zu sitzen ist IMMER ein erhebendes Erlebnis (besonders vor Tempo-Schwellern, wo man den Vorderwagen blitzschnell lupfen kann auf Knopfdruck). Im Ernst: Das Cockpit, das Aufsatz-Instrumentarium, die Farb- und Materialakzente, das ist eine Mischung aus Klasse, Kompetenzzentrum und Heimeligkeit, wie das nur ganz wenige Driver Caves beherrschen, die aber meist hervorragend.

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Kritik und Fazit – Ein Supercar mit Schattenseiten

Wir vermissen dennoch den kompromissloseren Huracán, dieses hundeknochentrockene Lenkrad, die mittig durchgezogene Cockpit-Konsole, das war deutlich zielgerichteter als hier, wo mehr Heimeligkeit zelebriert wird. Die Klangqualität des V8, na ja, naturally aspirated Zehnzylinder ist das halt keiner, und wir verstanden bald, warum uns Product Line Director Paolo Racchetti beim Briefing das Hochdrehen im Selbstversuch dringend nahelegte: Erst ab 6000 Touren springt das Orchester aus dem Graben und legt richtig los, auch akustisch. (Racchetti: „Another kind of car!“) Böses Brabbeln („burbling“) ist auch dabei, aus 4 Litern Hubraum lässt sich schon einiges herausröcheln.

Worst Case hingegen ist das Dahinschlurfen im E-Modus, außen klingt das wie eine Raumlüftung und von innen nach Vorwaschgang. Einige Mängel, vor jedem Temerario-Kauf zu beachten: Der Motorrad-inspirierte Blinkerknopf links/rechts in der linken Lenkspeiche ist bei Kreisverkehren unbenützbar und auch sonst ein Schwachpunkt der Bedienung, das hat Ferrari ausnahmsweise besser gelöst; die Schaltpaddles, groß und feststehend, sind eine Spur zu weit vom (recht großen) Lenkrad entfernt. Unser Testwagen hatte einen optischen Knick in der Frontscheibe, aber viel schlimmer und der größte Schock, dieser Lamborghini hat keine LSD, keine Lambo Styled Doors zwecks spektakulärem Auftritt/Abgang. Die fielen offenbar dem gedrängten Package zum Opfer, wie leider auch eine wirklich perfekte Lenkposition.

Der Fahrer sitzt in gestreckter Achse nicht ganz fluchtend zur Straße, immer etwas nach rechts gedreht. Linker Fuß weicht linkem Vorderrad. Vor allem die Beifahrersituation ist beengend, sobald man über 1,80 misst oder Lambo Style Legs and Heels besitzt, was hier rein sachdienlich codiert zu lesen ist. Will man Beinfreiheit, geht die Rückenlehne aufrecht, will man loungen, gehen die Knie hoch. Alles elektrisch, auch beifahrerseits. Die Kopffreiheit ist in jedem Fall erfreulich; Lamborghini behauptet, dass 2-Meter-Leute reinpassen.

Leider fällt im Temerario das wesentliche Start-Erlebnis weg, dieses Sich-In-Die-Welt-Röhren, sobald man den bei hochgeklappter Sicherheits-Klappe freigegebenen Knopf drückt. Elektrogeneriert schiebt man sich verschämt von dannen, während die Straßenjungen unmissverständlich auf ihr Ohr zeigen und Drehbewegungen veranstalten. Lamborghini hat bekanntlich 2023 mit dem Revuelto begonnen, seine Modellpalette zu elektrifizieren. Ein Jahr darauf folgte der Urus SE und Nummer drei der „Direzione Cor Tauri“, der Stierherzerei, ist eben der Temerario. Werkscode 634.

Seine Lithium-Ionen-Batterie mit der Kapazität von 3,8 kWh wurde genau in Wagenmitte integriert, sie wird beständig nachrekuperiert (immer auf Mindestladung gehalten) oder an der Ladesäule mit 7 kW aufgeladen. Bei entladener Batterie regelt sich der Normverbrauch auf 14 l/100 km ein, aber das lässt sich alles online nachlesen. Was nur jedoch hier zu finden ist als abschließender Rat: Spare et temerare!

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Aus der Hocke. Unglaublich, was sich an den Flanken abspielt, wie optische Venturi-Effekte hergestellt werden in einem erstaunlich zarten Zusammenspiel auslaufender oder einstimmender Fasen. Nichts ist verschenkt und nichts ist überladen. Nur die Türen enttäuschen, sobald man sie öffnet.

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Zusammenfassung

Daten & Ausstattung

Preis

€ 404.550,–, NoVA 35 %, Steuer jährlich € 6.808,32

Motor, Antrieb

8 Biturbo-Hot-V mit drei Elektromotoren. Hubraum 3995,2 ccm, Getriebe 8-Gang DSG.

Leistung, Drehmoment

588 kW/ 800 PS bei 9750/min. Leistung E-Motoren je 110 kW/150 PS. Systemleistung Boost 920 PS. Max. Drehmoment 730 Nm.

Bremsen

CCB Plus (Carbon-Keramik) mit 10 Kolben vorn und 4 Kolben hinten. Reifen vorn Bridgestone Potenza Sport 255/35 ZR 20, hinten 325/30 ZR21.

Fahrleistungen

0–100 km/h in 2,7 sec, Spitze 343 km/h.

Verbrauch 

kombiniert 11,2 l/100 km. Nach Entladung kombiniert 14,0 l/100 km. Energieverbrauch kombiniert 4,3 kWh/100 km. CO2 kombiniert 272 g/km.

Dimensionen

L/B/H 4706/2246/ 1201mm. Radstand 2658 mm.

Gewicht 

1690 kg. Gewichtsverteilung 43,4 % vorn/56,6 % hinten. Leistungsgewicht 1,84 kg/PS.

Ausstattung

ESC mit integriertem ABS und integrierter TCS mit unterschiedlichen Eigenschaften je nach gewähltem Fahrmodus. Lamborghini MagneRide (LMR) vorn und hinten.

Extras

Carbon-Lenkrad € 7.208,–, Ad Pers. Custom Body € 43.245,–,  Vorderachs-Lifter € 11.052,–, Sonus Faber Soundsystem € 11.772,–, Matrix-Scheinwerfer € 7.208,–, Diffusor Carbon glänzend € 14.415,–.

Dieser Test ist in autorevue 12/25 erschienen.

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